Unbewusste Vorurteile beeinflussen viele Personalentscheidungen – oft ohne dass wir es merken. Am Anfang des Monats haben wir eine LinkedIn-Umfrage zum Thema Unconscious Bias durchgeführt. Wir fragten unsere Leser:innen: “Welche Form von Bias hast du selbst erlebt oder beobachtet?” Das Ergebnis war eindeutig: 44 % der Teilnehmenden nannten den Affinitätsbias als häufigstes Vorurteil. Affinitätsbias – die Neigung, Menschen zu bevorzugen, die einem selbst ähnlich sind – ist also kein seltenes Phänomen, sondern geschieht ständig und oft unbemerkt. In diesem Blogpost zeigen wir, was hinter Affinitätsbias steckt, wie er besonders im Tech-Recruiting wirkt und – vor allem – welche konkreten Strategien HR-Teams und Führungskräfte anwenden können, um dieses Vorurteil zu erkennen und zu überwinden.
Was ist Affinitätsbias? (Ähnlichkeits-Bias)
Affinitätsbias (auch Similar-to-me-Bias oder Ähnlichkeits-Effekt genannt) bezeichnet die unbewusste Tendenz, Menschen positiver wahrzunehmen oder zu behandeln, die uns in irgendeiner Form ähnlich sind. Das können gemeinsame Merkmale wie Herkunft, Alter, Geschlecht oder Ausbildung sein, aber auch geteilte Interessen, Hobbys oder Werte. Im Grunde “klicken” wir schneller mit jemandem, der uns an uns selbst erinnert – sei es der Bewerber, der an der gleichen Uni war, oder die Mitarbeiterin mit ähnlichen Hobbys. Psychologisch fühlt sich Vertrautheit zunächst angenehm und vermeintlich richtig an, denn unser Gehirn liebt Abkürzungen: Ähnlichkeit vermittelt ein Gefühl von Sicherheit und Verständnis.
Besonders in Einstellungsprozessen und bei Beförderungen beeinflusst Affinitätsbias, wen wir einstellen, fördern oder unterstützen. Studien in der Personalpsychologie beschreiben dieses Muster als Teil des Attraction-Selection-Attrition (ASA)-Modells: Menschen fühlen sich von Unternehmen angezogen, in denen sie auf “ihresgleichen” treffen, und umgekehrt stellen Unternehmen bevorzugt Kandidat:innen ein, die kulturell und persönlich ins bestehende Team passen.
Warum ist Affinitätsbias problematisch?
Auf den ersten Blick mag es harmlos erscheinen, wenn man jemanden sympathisch findet, der einem ähnelt. Im Alltag ist das normal. Im Unternehmen kann Affinitätsbias jedoch ernste Folgen haben: Er steht einer diversen, inklusiven Unternehmenskultur im Weg. Wenn bei Einstellungen stets diejenigen bevorzugt werden, die dem vorhandenen Team ähnlich sind, bleiben andere hochqualifizierte Talente außen vor – nur weil sie anders sind. Das verringert die Vielfalt im Unternehmen und damit auch den Reichtum an Perspektiven und Ideen. Wie in unserem Blogpost beschrieben, zeigt die Forschung, dass Homogenität im Team nicht nur den Blickwinkel verengt, sondern auch messbar den Unternehmenserfolg bremst.
Wer sich unbewusst immer für den vermeintlich „passenden“ (weil vertrauten) Kandidaten entscheidet, könnte den nächsten innovativen Querdenker übersehen. Zudem neigen schnell wachsende Engineering-Teams dazu, neue Mitglieder per Mitarbeiterempfehlung zu rekrutieren – ein zweischneidiges Schwert: Empfehlungen beschleunigen zwar das Recruiting, aber häufig empfehlen Mitarbeitende Personen aus dem eigenen Netzwerk, die ihnen ähneln. So entsteht ungewollt eine Monokultur, in der Diversität auf der Strecke bleibt.
Affinitätsbias erkennen – Warnsignale im Recruiting-Alltag
Der erste Schritt zur Überwindung ist, Affinitätsbias überhaupt zu erkennen. Achte im Recruiting-Alltag auf typische Warnsignale:
- „Der-oder-die-ist-wie-ich“-Gefühl: Hast du schon einmal nach einem Interview gedacht: „Mit der Person würde ich auch gern nach der Arbeit ein Bier trinken“ – und das als Argument für eine Einstellung gewertet? Ein allzu großes Maß an persönlicher Sympathie aufgrund ähnlicher Interessen oder Hintergründe kann ein Indikator für Affinitätsbias sein.
- Homogene Shortlists: Schaue dir die Liste der letzten Kandidat:innen an, die es in die engere Auswahl geschafft haben. Haben sie alle einen auffallend ähnlichen Werdegang oder Background? Wenn ja, könnte das darauf hindeuten, dass im Auswahlprozess diejenigen durchrutschen, die nicht dem gängigen Profil entsprechen.
- Kulturfit als Totschlagargument: Sicherlich ist es wichtig, dass neue Mitarbeitende zur Unternehmenskultur passen. Doch Vorsicht: “Passt nicht ins Team” kann leicht zum Deckmantel für unbewusste Vorurteile werden. Wenn ein qualifizierter Kandidat immer wieder mit der Begründung abgelehnt wird, er passe „kulturell nicht“, ohne dass konkrete Kriterien dafür definiert sind, lohnt es sich, genau hinzusehen.
Strategie zur Überwindung des Affinitätsbias im Recruiting-Prozess
- Stellenausschreibungen und Auswahlkriterien überarbeiten: Beginne am Anfang der Pipeline – deiner Stellenausschreibung. Schaue dir unser Video an mit hilfreichen Tipps wie du Frauen für deine Stellenanzeigen begeistern kannst.
- Strukturierte Interviews und standardisierte Tests einsetzen: Anstatt lockerer, frei ablaufender Gespräche sollten Interviews möglichst strukturiert und einheitlich sein. Stelle allen Kandidat:innen einen festen Satz vorab definierter Fragen, die direkt mit den Job-Anforderungen zusammenhängen. Das erlaubt einen fairen Vergleich der Antworten. Bewerte die Interviews mit Hilfe eines Scorecards oder festen Bewertungsskalen, an denen sich alle Interviewer orientieren müssen. Eine Studie mit 19 verschiedenen Auswahlmethoden ergab zum Beispiel, dass realistische Arbeitsproben (wie Programmieraufgaben oder Fallstudien) zu den besten Vorhersageinstrumenten für spätere Performance zählen.
- Blinde Bewerbungsverfahren nutzen: Wo immer möglich, erwäge anonymisierte Bewerbungen. Dabei werden persönliche Merkmale wie Name, Foto, Alter, Geschlecht oder Herkunft in Lebensläufen und Bewerbungsunterlagen ausgeblendet, sodass die Vorauswahl rein nach Qualifikation und Erfahrung erfolgt. So ein Blind Hiring-Ansatz zwingt Entscheider, sich auf relevante Fähigkeiten zu konzentrieren. Einige Unternehmen nutzen hierfür Software, die automatisiert alle identifizierenden Merkmale schwärzt, oder lassen anfängliche Auswahlrunden komplett von anonymisierten Tests und Fragebögen abhängig machen. Dadurch kommt gar nicht erst die Frage auf, ob einem der Kandidat „auf Anhieb sympathisch“ ist – denn man kennt zunächst nur seine Leistungen.
- Divers besetzte Auswahlgremien: Achte darauf, dass nicht immer dieselbe homogene Runde über Einstellungen entscheidet. Vielfältige Interviewer-Teams – z. B. gemischt nach Geschlecht, Alter, Hintergrund – bringen verschiedene Blickwinkel ein und können gegenseitig blinde Flecken ausgleichen. Idealerweise bewertet jede:r Interviewer:in unabhängig und die Ergebnisse werden erst danach zusammengetragen.
- Klare Kriterien für Kultur“fit“ festlegen: Falls Kulturfit Teil deiner Auswahl sein soll, definiere im Voraus konkrete, jobrelevante Aspekte der Unternehmenskultur, die wirklich notwendig sind. Zum Beispiel Werte wie Offenheit für Feedback oder Kundenorientierung – und prüfe diese anhand von Verhaltensbeispielen im Interview. Vermeide schwammige Aussagen à la „Ich kann es nicht genau benennen, aber es passt irgendwie nicht“. Kultur darf kein Freibrief für subjektive Vorlieben sein. Moderne HR-Trends raten daher zum Konzept „Culture Add“ statt „Culture Fit“: Also bewusst Bewerber:innen wertzuschätzen, die neue Perspektiven einbringen. Frage im Interview gezielt: „Was würdest du Neues in unser Team einbringen?“
- Technologie mit Bedacht einsetzen: Im Zeitalter von KI und automatisiertem Recruiting ist Vorsicht geboten – Algorithmen sind nur so gut wie die Daten, von denen sie lernen. Ein bekanntes Beispiel ist Amazons Rekrutierungs-AI, die trainiert an historischen Daten frauenfeindliche Verzerrungen entwickelte, weil in der Vergangenheit überwiegend Männer eingestellt wurden. Nutze daher Tools gezielt, um Bias zu reduzieren, nicht um ihn zu verstärken. Beispielsweise können KI-gestützte Analysen helfen, Ungleichgewichte in Bewerbungsprozessen aufzudecken. Wenn zum Beispiel 90 % der eingestellten Softwareengineers zufällig aus dem gleichen Uni-Umfeld stammen wie das bestehende Team, sollte man hinterfragen, ob wirklich die besten Talente ausgewählt wurden – oder die ähnlichsten.
Affinitätsbias mag ein hartnäckiges Überbleibsel unserer menschlichen Natur sein, doch er ist überwindbar. Erkennen ist der erste Schritt, nun gilt es, konsequent dagegen anzugehen. Wer im „Recruitment-Dschungel“ erfolgreich sein will, braucht den Mut, bewusste und unbewusste Vorurteile zu hinterfragen, und die Entschlossenheit, Veränderungen umzusetzen. Es mag unbequem sein, eingefahrene Muster aufzubrechen – aber es lohnt sich. Optimyze unterstützt dich dabei, deinen Recruiting-Prozess objektiver, inklusiver und effektiver zu gestalten – für diverse Teams, die Innovation vorantreiben.
Affinitätsbias endet nicht mit der Einstellung – er kann auch den Alltag im Unternehmen prägen. Zum Beispiel bei der Verteilung von Projekten, bei Mentoring oder bei Beförderungen. Deshalb müssen auch intern Mechanismen geschaffen werden, um unbewusste Bevorzugungen aufzudecken und abzustellen. Möchtest du erfahren wie? Finde unsere Handlungsempfehlungen, um Affinitätsbias am Arbeitsplatz entgegenzuwirken in unserem Blogbeitrag.