Wer heute in DevOps, Cloud oder Systemadministration einsteigt, stolpert schnell über dieselbe Frage: Wie viel zählen Zertifikate wirklich? Zwei Menschen, die täglich an dieser Schnittstelle zwischen Weiterbildung und Arbeitsmarkt arbeiten, geben Einblick: Christiane Schwammenhöfer (Karriereberatung/Personalberatung) und Daan Dragt (Coach) vom Syntax Institut. Sie sprechen über die Rolle von Zertifikaten als Türöffner, häufige Missverständnisse (Stichwort: „Mehr ist mehr“), die Relevanz von Praxisprojekten und wie man Zertifikate im Lebenslauf so verknüpft, dass Skills und Soft Skills sichtbar werden. Es geht außerdem um Interviewvorbereitung – vom 2‑Minuten‑Pitch über Nervositätsmanagement bis hin zu einer kleinen Pre‑Interview‑Routine. Das Gespräch richtet sich an alle, die ihre Weiterbildung in eine überzeugende berufliche Story überführen wollen.
Antonia Bader: Stellt euch bitte kurz vor. Wer seid ihr und was macht ihr aktuell beruflich?
Christiane Schwammenhöfer: Ich bin die Christiane und ich bin seit Anfang 2024 beim Syntax Institut als Personalberatung zuständig für die Begleitung unserer Teilnehmenden in den Weiterbildungen. Ich helfe ihnen beim Eintritt in den Arbeitsmarkt und begleite sie, bis sie nach der Weiterbildung einen Job haben – bis zu sechs Monate nach Kursabschluss. Zum Hintergrund, was Syntax macht: Wir sind ein Weiterbildungsinstitut im IT‑Bereich. Wir haben ein diverses Produktportfolio an Kursen im IT‑Bereich – App, Web, DevOps und Cloud – und einen neuen KI‑Kurs. Alle Teilnehmenden aus diesen Kursen suchen danach einen Job, und da komme ich ins Spiel und begleite sie auf ihrer Reise in die Arbeitswelt. Ich bin intern nicht fürs Recruiting zuständig, sondern mache gewissermaßen Reverse Recruiting: Wie kommt man bei anderen Firmen rein, wie kann man sich helfen – etwa mit der Karte (Karriereplanung), LinkedIn, Lebenslauf. Wie ich in die IT gekommen bin: Ich komme aus dem Recruiting, habe davor Recruiting bei verschiedenen Firmen gemacht, auch bei einer Headhunting‑Company. Ich fand es spannend, das mal „verkehrt herum“ zu machen – nicht immer Leute zu suchen, sondern Jobsuchenden zu helfen, eine Firma zu finden. Das ist sehr interessant.
Daan Dragt: Dann übernehme ich mal den Staffelstab. Mein Name ist Daan und ich bin als Coach tätig – für das Syntax Institut. Ich bin als Coach in die IT‑Industrie reingekommen, um unsere Teilnehmenden in unseren Kursen zu begleiten – bei ihrer Reintegration in den Arbeitsmarkt. Dementsprechend bin ich in diese IT‑Themen gelandet – per Zufall, könnte man sagen – und habe mir dabei vieles neu angeeignet, was die IT‑Szene angeht.
Antonia Bader: Welche Rolle spielt eine Zertifizierung für die Jobsuche – und was signalisieren sie potenziellen Arbeitgebern?
Christiane Schwammenhöfer: Ganz generell sind Zertifizierungen wichtig, um in die IT einzusteigen. Sie zeigen technisches Wissen, das man sich angeeignet hat – gerade weil wir mit Quereinsteiger:innen arbeiten, die vorher vielleicht nichts mit IT zu tun hatten. Durch Zertifikate kann man sein technisches Wissen vergrößern und neue Kompetenzen dazugewinnen. Ein Zertifikat signalisiert auch Lernbereitschaft, weil man dafür viel lernen muss, und Commitment. Das sind die Kernsignale.
Antonia Bader: Bekommt ihr das auch von Firmen gespiegelt – also aus Erfahrung, dass Unternehmen sagen: „Bei uns ist das wichtig, weil es Lernbereitschaft zeigt“?
Christiane Schwammenhöfer: Genau. Es ist gern gesehen. Gerade wenn man an Quereinsteiger:innen denkt – wir haben ja sehr unterschiedliche Werdegänge. Manche kommen z. B. aus dem medizinischen Bereich, Pflege oder anderen Bereichen. Wenn man dann im CV eine Weiterbildung sieht und zusätzlich Zertifikate, schafft das eine Basis und zeigt neue Fähigkeiten. Das ist beim Einstieg in die IT wichtig. Natürlich je nach Job unterschiedliche Zertifikate – dazu kommen wir gleich. Aber ja: Für den Einstieg ist es sinnvoll, jobbezogen ein Zertifikat mitzubringen.
Daan Dragt: Vielleicht ein ergänzender Einblick aus den Teilnehmenderfahrungen. Kandidat:innen, die ich gecoacht habe, hatten durch den Kurs im Prinzip den gleichen fachlichen Stand. Wir hatten den Fall, dass zwei eingeladen wurden und am Ende der oder die Kandidat:in mit Zertifizierung genommen wurde. Es wurde nicht „groß thematisiert“, vielleicht passte die Person auch zwischenmenschlich besser, aber es ist nicht unüblich, dass jemand mit Zertifizierung eher genommen wird.
Christiane Schwammenhöfer: Das kann ich unterstreichen. Die Sichtbarkeit ist dann auch höher. Wenn im CV Keywords zu einem Zertifikat stehen, wird der CV anders „rausgefischt“ aus dem Talentpool, als wenn die Technologien nicht angegeben sind. Das ist ein Mehrwert eines Zertifikats.
Antonia Bader: Beispielsweise für DevOps – worauf sollte man sich konzentrieren? Welche Zertifikate sind im Moment im Trend oder werden erwartet/gern gesehen?
Christiane Schwammenhöfer: Ich schaue mal in mein Cheat‑Sheet. Wir haben einige Zertifikate und ich arbeite mit verschiedenen Kursen zusammen; unser Curriculum hat sich mit der Zeit verändert. Wir arbeiten aktuell sehr modular. Es sind viele IHK‑Prüfungen dazugekommen. Bei den Kursen, mit denen ich noch arbeite (Stand 2024), haben sich insbesondere bewährt: AWS Cloud Practitioner und Azure Fundamentals. Das hat den Leuten die Tür in Cloud‑Jobs geöffnet – und in die DevOps‑Richtung. Viele bewerben sich auf solche Stellen, und diese Zertifikate werden häufig genutzt oder extra gemacht, weil klar ist, wohin es gehen soll. Außerdem schauen viele Richtung Systemadministration; da ist z. B. der LPI Linux Essentials wichtig – der kommt in Vorstellungsgesprächen oft vor, wenn es in Richtung Linux‑Systemadministration geht. Wir haben auch ein neues Cloud‑Curriculum ab diesem Jahr. Da bieten wir zusätzlich den IT‑Support‑Specialist (IHK) an (im zweiten Modul). Im dritten Modul kann man die IHK‑Prüfung IT‑Systemadministrator machen; dazu den Cloud Business Expert und im vierten Modul wieder den AWS Cloud Practitioner. Das ist super, wenn man modulweise in Cloud‑Stellen gehen will.
Antonia Bader: Häufige Missverständnisse: Welche typischen Missverständnisse zu Zertifikaten begegnen euch bei HR oder technischen Leads? Wie löst ihr sie im Prozess, damit Zertifikate als Vertrauenssignal dienen?
Christiane Schwammenhöfer: Ein Missverständnis, das mir sofort einfällt – ich habe das neulich gelesen – ist „mehr ist mehr“. Es wird viel erwartet, aber am Ende ist Relevanz wichtiger als Quantität. In Jobbeschreibungen steht selten, dass man zehn Zertifikate braucht. Besser: in dem, was man macht, zur Expertin/zum Experten werden – Relevanz im Blick behalten. Ein weiteres Missverständnis: Zertifikate ersetzen Praxis. Tun sie nicht. Sie legitimieren Fachwissen, aber angewendet wird es in Projekten. Das berücksichtigen wir: Unsere Leute machen Zertifikate, wenden das Wissen aber auch an – z. B. in praktischen Projekten (Apps programmieren, eigene Ideen). In den Cloud‑Kursen überlegen sie selbst, was sie machen wollen. Da entstehen großartige Ideen, die beim Kurs‑/Modulabschluss präsentiert werden. Noch ein Punkt: Zertifikate laufen aus. „Das habe ich früher schon gemacht“ – ja, aber Zertifikate sind nicht für immer. Fortlaufende Weiterbildung und neue Versionen sind wichtig – speziell im Cloud‑Bereich. Und: Ein Zertifikat zeigt nicht „alles“. Es zeigt technisches Wissen; Soft Skills müssen separat sichtbar gemacht werden. Im CV sollte ein Zertifikat nicht nur als Icon stehen, sondern ausgeschrieben – inklusive Datum. Von dort leitet man Kompetenzen ab und verknüpft sie idealerweise mit einem Praxisprojekt.
Es wird viel erwartet, aber am Ende ist Relevanz wichtiger als Quantität.
– Christiane Schwammenhöfer
Antonia Bader: Hättest du einen Tipp für Formulierungen? Also: Zertifikat drin – und dann Soft Skill Lernbereitschaft; wie würdest du Zertifikat und Soft Skills verbinden?
Christiane Schwammenhöfer: Wir bieten Bausteine in der Beratung an und helfen beim CV‑Aufbau. Dazu gehören die Zertifikate. Es gibt Platz für Soft Skills – klassisch. Wir schauen: Was hast du gelernt, wohin hast du dich spezialisiert? Manche sagen DevOps, andere IT‑Support. Wir ziehen passende Soft Skills heraus: Was braucht IT‑Support, was bringst du mit? Wichtig: Zertifikate nicht nur als Icon irgendwo in die Ecke – das wird schlecht ausgelesen. Zertifizierungen ausschreiben, Datum nennen, Kompetenzen ableiten, idealerweise ein Praxisprojekt angeben, in dem das Wissen genutzt wurde.
Antonia Bader: Thema Interviewvorbereitung. Angenommen, der CV ist perfekt und jemand wird eingeladen. Wie startet man am besten in die erste Frage?
Daan Dragt: Oft kommt: „Erzählen Sie bitte etwas von sich.“ Da hilft ein Elevator Pitch von ca. zwei Minuten – nicht zu lang. Erstmal oberflächlich in der Kürze, aber fachlich relevant, damit sie eine Vorstellung von deinem Karriereweg haben. Zertifizierungen werden dann wichtig, wenn es spezifisch um die Rolle geht. „Mehr ist mehr“ gilt nicht. Zehn irrelevante Zertifikate – z. B. für zufällige Programmiersprachen – bringen nichts. In der Vorbereitung also fokussieren: Was wird verlangt? Wie verknüpfe ich das mit meinem bisherigen Weg? Frag dich: Wie bin ich bis hierhin gekommen? Wurde ich eingeladen oder habe ich mich beworben? Was hat mich angesprochen? Was motiviert mich? Das kann ein Sprungbrett sein, um über die fachliche Navigation zu sprechen – z. B. eine Qualifizierung und ein Projekt, das du gemacht hast.
Christiane Schwammenhöfer: Ich ergänze meinen Tipp, den ich immer mitgebe: Motto „Wo komme ich her? Was will ich hier? Wo geht’s weiter?“ Im Gespräch wird man schnell nervös und springt. Das Motto hält den roten Faden. Zertifikate kann man später einbauen.
Antonia Bader: Tipps für jemanden, der sehr nervös ist – dem es schon öfter passiert ist, dass es chaotisch wurde?
Daan Dragt: Gute Vorbereitung ist die halbe Miete. Nicht nur üben, sondern aufschreiben. Schreiben hilft dem Gehirn, Informationen abzuspeichern. Reflexion ist wichtig – meine Coach‑Perspektive: Fähigkeiten und Erfahrungen on‑demand abrufen können, weder hoch- noch tiefstapeln. Haltungssache: Du willst weiterkommen und einen Job – aber das direkte Ziel im Gespräch sollte sein: Augenhöhe. Das Unternehmen muss sich auch beweisen. Passt das? Wenn man so reingeht, bringt das Ownership zurück. Viele werden nervös, weil sie das nicht verinnerlicht haben und sich „unter Beobachtung“ fühlen. Aber nichts ist schlimmer als ein Job, in dem man sich nicht wohlfühlt.
Antonia Bader: Bullet Points oder ganze Formulierungen aufschreiben?
Daan Dragt: Eher das Erste. Man kann auch ganze Antworten üben, aber das wirkt oft zu konstruiert. Es sei denn, man übt es tausendmal wie eine Schauspielrolle. Meiner Meinung nach gibt es eine unnötige Fixierung auf Formulierungen; wichtiger ist die Substanz. Deutsch ist nicht meine Muttersprache – ich fühle mich da manchmal einen Schritt zurück. Viele in der IT sind Arbeitsmigrant:innen; nicht alle sprechen perfektes Deutsch oder Englisch. Wichtiger ist, dass du weißt, wovon du sprichst. Sprachfehler – who cares?
Christiane Schwammenhöfer: Wenn Leute sehr aufgeregt sind – ich bekomme manchmal noch kurz vor dem Interview Anrufe – rate ich, es einfach zu kommunizieren. Wir sind alle Menschen. Der Recruiter war auch mal aufgeregt. Wenn einem etwas nicht einfällt: „Tut mir leid, ich bin aufgeregt.“ Das nimmt Spannung raus. Die Mauern gehen runter. Man merkt dann oft: Das Wissen ist da, es lässt sich nur gerade nicht abrufen.
Daan Dragt: Genau, Stichwort Authentizität. Da beweist man schon die erste Soft Skill – Kommunikation. Ein Bewerbungsgespräch ist die erste Gelegenheit zu zeigen, wie man mit Spannung umgeht. Ob ein Hire „richtig“ war, weiss man meist erst nach drei Monaten. Es gibt viele Bewerbungen pro Stelle; wie hebst du dich ab? Nicht nur fachlich, sondern auch menschlich. Die Klischee‑Figur „IT‑Mensch allein im Keller“ – diese Tage sind vorbei. Zusammenarbeit zählt. Menschlichkeit zeigt sich immer – man kann sie nicht „abschalten“. Wer sie nur spielt, hat nach drei Monaten keinen Job mehr – das ist nicht nachhaltig.
Wichtiger ist, dass du weißt, wovon du sprichst. Sprachfehler – who cares?
– Daan Dragt
Antonia Bader: Tipps, Soft Skills bewusst zu zeigen? Oft passiert das ja eher passiv.
Daan Dragt: Stimmt, aber man kann sich vorbereiten. Es hat viel mit Haltung zu tun. Beispiel Fehlerkultur: Fehler passieren – wie gehe ich damit um? Darf man darüber offen reden? Diese Reflexionsarbeit ist wichtig – häufig ein längerer Prozess, den man während des Jobs lernt.
Antonia Bader: Eure Empfehlung für eine 5‑Minuten‑Pre‑Interview‑Routine?
Daan Dragt: Ich habe mit Kolleg:innen darüber gesprochen. Es gibt das Konzept „Power Posing“ (Amy Cuddy, TED‑Talk). Kurz vorher zur Toilette gehen, Arme hoch – „Winner‑Pose“. Vera F. Birkenbihl empfahl: Stift zwischen die Zähne – das Gehirn „denkt“ an ein Lächeln, die Stimmung hebt sich. Mein Tipp: Versuche die innere Chemie von nervös zu positiv zu verändern. Und verinnerliche: Interview auf Augenhöhe. Ruhig durchatmen, eventuell kurz um den Block gehen – fünf Minuten sind knapp, aber in diese Richtung. Sorge dafür, dass es dir gut geht.
Antonia Bader: Letzte Frage: Euer ultimativer Rat für jemanden, der sich bei einer Firma vorstellt oder den CV schreibt – gerade frisch mit Zertifizierung?
Christiane Schwammenhöfer: Auf jeden Fall: Hilfe holen. Wir bieten Coaching für unsere Absolvent:innen an und sehen den Mehrwert. Wir sind ein Team, das Skills aufbaut und pusht. Niemand soll allein mit dem CV kämpfen und sagen: „Ich weiß nicht, wie man das macht; ich stecke fest; ach, dann bewerbe ich mich gar nicht.“ Wir gehen hinterher, wir telefonieren, wir kontaktieren. Hilfe annehmen – gerade neu in der IT. Es gibt keine doofen Fragen. Wir freuen uns, wenn jemand einen Job hat – das feiern wir intern. Miteinander statt Einzelkampf.
Daan Dragt: Dem schließe ich mich an. Du musst es nicht allein machen. Wenn man es allein versucht, hängt man nur im eigenen Kopf fest; irgendwann landet man in einer Abwärtsspirale. Tipp: Such dir Leute, die dafür sorgen, dass das Beste aus dir herauskommt.
Miteinander statt Einzelkampf.
– Christiane Schwammenhöfer
Zertifikate öffnen Türen, aber hinein geht man mit Praxis und einer klaren Story. Schreib Zertifikate aus, datiere sie, leite Kompetenzen ab und verknüpfe sie mit Projekten. Halte im Gespräch deinen roten Faden (Woher – Warum hier – Wohin), sprich Nervosität offen an und behandle das Interview als Dialog. Wenn du Quereinsteiger:in bist: Wähle wenige, passende Zertifikate (z. B. AWS Cloud Practitioner, Azure Fundamentals, LPI Linux Essentials), halte sie aktuell und nutze Praxisprojekte als Beweisstücke. Such dir Feedback – es ist die schnellste Abkürzung zu einem überzeugenden Profil.
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